Einführung zur Eröffnung der Ausstellung „Irritation und Harmonie“ von Pagener & Petermann
am 13. Juni 2018 in der „Residenz am Dom“ in Köln
Ich freue mich, Ihnen heute eine Einführung in das Werk des Künstlerehepaars Micaela Pagener und Volkmar Petermann geben zu dürfen.
Als ausstellende Künstler sind die beiden noch nicht so lange unterwegs. Er seit 2011 und sie seit 2015. Was aber jetzt nicht heißen soll, dass es nicht viel zu sagen gibt.
Ganz im Gegenteil: Die Arbeiten der beiden haben viel zu bieten, u.a. Diskussionsstoff. Außerdem können sie schon Erfolge vorweisen. Mit einer Gemeinschaftsarbeit haben sie bei einer großen Ausstellung – der GemlucArt – in Monaco im vergangenen Jahr den Publikumspreis gewonnen.
Noch ein bisschen Biographisches: Die kunstaffinen Pagener und Petermann sind als junge Menschen nicht den Weg über eine Kunstakademie gegangen. Sie haben vielmehr – wie es früher gern hieß – was Ordentliches gelernt, genauer auf Lehramt studiert. Und anschließend haben beide u.a. Deutsch an Gymnasien unterrichtet. In dieser Zeit hat Kunst für beide immer eine Rolle gespielt, Volkmar Petermann hat zudem fachfremd Kunst unterrichtet. Für das eigene intensive künstlerische Schaffen fehlte aber häufig die Zeit. Seit einigen Jahren haben sie nun ihr Berufsleben hinter sich und können sich ohne Kompromisse der Kunst, ihrer lange im Hintergrund geruhten Berufung, widmen.
Der Maler im weitesten Sinne ist Volkmar Petermann in diesem Duo. Micaela Pagener fertigt Assemblagen. Auf Deutsch heißt das Zusammenfügung, -stellung. Dabei werden die unterschiedlichsten Gegenstände auf einer ebenen Fläche zu reliefartigen Gebilden zusammengefügt. Von daher könnte man Assemblage auch einfach Materialbild nennen; macht aber kaum einer. Durch die Zusammenstellung der Objekte werden ein veränderter Realitätsbezug und damit ungewöhnliche Sinnzusammenhänge hergestellt. Es gibt einige Künstler, die aus Abfällen, wie Schrott, und/oder Fundstücken Assemblagen fertigen. Bei ihnen spielt häufig Konsumkritik eine Rolle.
Micaela Pagener setzt sich jedoch mit Themen wie Geschlechterrollen und deutscher Vergangenheit auseinander und greift auch auf anderes Material zurück. So verarbeitet sie hauptsächlich Dinge vom Flohmarkt und Reste, wie Stoffreste, die für andere Abfall sind. Vom Flohmarkt kommen ausgedientes Spielzeug, Handpuppen aus dem guten alten Kasperletheater, kitschige Deko-Artikel und irgendwelches Gedöns zum Kilopreis aus Grabbelkisten. Was ihren Mann, wie er mal erzählte, nur die Augen verdrehen lässt. Nachher aber staunt nicht nur er, was sie darin gesehen und anschließend daraus gemacht hat. Selbst nennt sie den Einsatz dieser vielfältigsten Materialien „Upcycling“. Sie gibt diesen Stücken ein neues Leben in oft ganz unerwarteten Zusammenhängen und schafft neue imaginäre Wirklichkeiten.
Inspirationsquelle für Volkmar Petermann sind vielfach PopArt und Klassische Moderne, da besonders die Neue Sachlichkeit. Er hat aber eine eigenständige Ausdrucksweise gefunden, für sowohl seine gegenständliche als auch seine abstrakte Malerei.
Auch wenn ich von ihm als Maler spreche, ist er keiner, der ganz klassisch seine Acrylfarben mit dem Pinsel aufträgt. Pinsel kommen gar nicht so häufig zum Einsatz. Seine Werkzeuge sind eher Malerrolle, Palettmesser und Rakel. Zudem setzt er Papierschablonen ein, um harte Abgrenzungen zwischen den einzelnen Farbfeldern zu erzielen. Er klebt aber auch Stoffe auf, was seinen Arbeiten einen dekorativen Collage-Charakter verleiht. Hier neben mir steht ein vielleicht nicht ganz so typischer Petermann, aber dieses Bild gehört zu seinen neuesten Arbeiten und dürfte, wie ich hoffe, auch mit etwas Abstand noch zu erkennen sein.
Eine ganze Reihe von Köpfen und Halbfiguren gruppiert sich um eine zentrale Halbfigur mit hochgezogenen Schultern. Sie befindet sich in einer Art Blase, die sich auch durch ihre hellen Pastelltöne von der Umgebung absetzt. Drumherum sind wie ein verbaler Salat einzelne Buchstaben zu sehen. Offensichtlich reden alle auf den armen Tropf ein. Bei einem Telefonat sagte Volkmar Petermann kürzlich: „Wie mit den Kollegen früher. Alle wollen was von einem.“
Damit bin ich schon beim Inhalt des Bildes, das den bezeichnenden Titel „Under Pressure“ trägt. Auch als Betrachter kann man das emotionale Wirrwarr nachempfinden. Vom Thema her ist dieses Bild also alles andere als harmonisch. Dabei ist Volkmar Petermann, was den Ausstellungstitel „Irritation und Harmonie“ anbelangt, eigentlich für die Harmonie zuständig.
Die findet sich hier in Form und Farbe. Würden sowohl die komplexe Form- und Farbkomposition als auch der Inhalt einfach nur Harmonie ausstrahlen, würde dem Bild wohl die ausbalancierte Spannung fehlen.
Petermann baut seine Bilder von der Form ausgehend auf. Die Form ist hier flächig reduziert. Es gibt kein Vorder- und Hintergrund, nur ein Nebeneinander, eine Gleichzeitigkeit. Auch die Gesichter der Figuren sind auf das Wesentliche reduziert, haben etwas Comichaftes, teils sogar Verzerrtes. Die Farbe folgt bei seiner Art des Arbeitens im nächsten Schritt. Verschiedene Gelbtöne sind dominant, dazu bilden mehrere ins Violett gehende Töne den Komplementärkontrast. Die Farbe Gelb ist übrigens ganz typisch für Petermann. Sie fehlt auf so gut wie keinem seiner Bilder. Er liebt nun mal die sonnigen Farben.
So wie die Farbe Gelb eine Konstante in seinen Arbeiten ist, spielt auch das Thema „Kommunikation“ immer wieder eine Rolle. Bei diesem Bild hier ist es sicher die eher anstrengende Variante. Mit größerer Leichtigkeit kommen seine Winkenden in der Ausstellung daher. Ihr Winken kann den Wunsch nach Kontaktaufnahme ausdrücken oder ein Abschiedsgruß sein, das bleibt offen.
Dann sind in der Ausstellung einige Darstellungen von Frauenfiguren zu sehen, denen trotz ihres barbiehaften Äußeren auch etwas Bedrohliches, Unberechenbares anhaftet. Die Titel „Witch“ also Hexe, weisen auch in diese Richtung. Hexen sind ja gemeinhin nicht unbedingt die sympathischsten Wesen.
Ein ambivalenter Blick auf Frauen offenbart sich hier. Damit bin ich an einem wichtigen Berührungspunkt mit den Arbeiten seiner Frau Micaela Pagener angelangt. Sie thematisiert immer wieder die Geschlechterrollen und weibliches Selbstbewusstsein.
Mit ihrer ganz eigenen kombinatorischen Methode gestaltet Micaela Pagener komplexe, vielteilige Assemblagen, die etwas Chaotisches verbunden mit einem schalkhaften Augenzwinkern haben und auch ironisch gebrochen sind. Zunächst kommt aber häufig ein Wiedererkennungseffekt zum Tragen, vor allem bei Leuten mit ein bisschen Lebenserfahrung. Bei dieser Arbeit hier sind es die Spielzeugburg und die Püppchen. Da kann man sich natürlich fragen, ist Micaela Pagener auch in ihrer künstlerischen Arbeit die geschickte Pädagogin, die Bekanntes und Vertrautes für den leichten Einstieg bietet? Nach dem Motto: „Ach, so ein Spielzeug hatte ich, mein Kind, mein Enkelkind!“ Gewissermaßen lockt sie mit einem bekannten Häppchen und gewinnt so die Aufmerksamkeit. Ich will jetzt aber nicht psychologisieren…
Auf den Türmen der rosa- und blaufarbenen Burg stehen vier Püppchen in Kleidern aus seidigen, mit Pelz verbrämt Stoffen. Die verwendeten Pelzreste stammen übrigens aus dem hiesigen Pelzhaus Adrian, das nur nebenbei. Diese Püppchenfrauen tragen außerdem edle, goldfarbene Masken wie im venezianischen Karneval. Hinten befindet sich eine etwas größere Puppe, die das Ganze im Blick zu behalten scheint. Weiße Ninja-Turtle-Kampfechsen-Monster-oder-was-weiß-ich-für-Viecher mit stahlblauen Augen klettern an den Türmen hoch. Einer hat schon seine Pfote unter einen Rocksaum geschoben. Aus den Schießscharten der Türme greifen Ärmchen. Es ist unklar, ob sie locken oder abwehren wollen. Wie ein Prinz auf weißem Pferd kommt ein weiterer Turtle angeritten, der aber eher wie ein verkniffen dreinblickender Kermit, der Frosch, aussieht. An der anderen Seite der Burg liegen eine Reihe herrenloser weißer Schwänze.
Die Brücke zur Burg kann hochgezogen werden. Jetzt ist sie offen und gibt den Blick auf den Burghof frei. Dort scheint sich eine Art goldglänzender Schatz mit roter Perle eingebettet in weiteren Pelz zu befinden. Der Titel dieser Assemblage lautet „Alarm“.
Die Püppchen bzw. die Frauen sind verschreckt auf die Türme geklettert, weil weiße Monster angreifen, so könnte man die Situation knapp umschreiben. Aber das wäre doch ein bisschen sehr schlicht! Allein die Größenverhältnisse. Die Monster wirken im Vergleich zu den größeren Puppen wie farblose Wurzelzwerge. Hier tut sich eine klare optische Überlegenheit der Puppen auf. Sie spielen eindeutig in einer ganz anderen Liga als diese Macho-Männchen. Von daher könnten die eleganten Puppenfrauen den farblosen Typen gegenüber eigentlich ganz anders auftreten.
Die aktuelle #Mee-Too-Debatte und ihre eigene Auseinandersetzung damit hat Micaela Pagener zu dieser Assemblage veranlasst. Frauen, so kann man diese Arbeit verstehen, sollten sich nicht so sehr in einer Opferrolle einrichten, sondern ihre eigenen Stärken erkennen und eigene Strategien entwickeln. Viktimisierung ist der falsche Weg. Dennoch gilt es, auch gegenüber farblosen Angreifern auf der Hut zu sein, denn das im Burghof verwahrte pelzige Etwas mit rötlichen Oval und schimmerndem Goldknöpfchen wirkt bei der Sicht von oben (schauen Sie später selbst) schon sehr kostbar und auf einer anderen Ebene durchaus auch sehr weiblich intim.
Jetzt kommen Sie aber bitte nicht mit „Ochottochott“ – oh, war das jetzt zu westfälisch – (oh, mein Gott) – und machen nachher verschämt einen Bogen um die Assemblage. Zum Umgang mit delikaten Kunstwerken möchte ich noch eben den bekannten Kunsthistoriker Ernst Gombrich, (1909 – 2001) aus der Wiener Schule, zitieren:
„Kunst ist eine Institution, der wir uns immer dann zuwenden, wenn wir uns schockieren lassen wollen. Dieses Bedürfnis empfinden wir, weil wir spüren, dass ein gelegentlicher heilsamer Schock uns guttut. Sonst würden wir allzu leicht in einen Trott geraten und neuen Herausforderungen, die das Leben uns stellt, nicht mehr gewachsen sein. Die Kunst ist also, anders gesagt, die biologische Funktion einer Probe, eines Trainings in mentaler Gymnastik, das uns hilft, mit dem Unerwarteten umzugehen.“
Gombrich hat diese Sätze zwar auf die Wiener Kunstszene des frühen 20. Jahrhunderts bezogen, aber meines Erachtens passen sie auch bestens auf Micaela Pageners Arbeiten, die ungeheuer lebendig und fantasievoll den Betrachter immer wieder irritieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viele anregende Gespräche bei der gemeinsamen Betrachtung der ausgestellten Kunstwerke!
Sigrid Winkler-Borck, Kunsthistorikerin M.A.
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